Wenn jeder Griff sitzt
BRK schult Blinde und Sehbehinderte in lebensrettenden Sofortmaßnahmen
Von Bernhard Brunner
Passau. Am morgigen Mittwoch ist der Internationale Tag der Menschen mit Behinderung. Er geht auf die Vereinten Nationen zurück und soll das Bewusstsein der Öffentlichkeit für die Probleme von Menschen mit Behinderung wachhalten und den Einsatz für die Würde, Rechte und das Wohlergehen dieser Menschen fördern. Das BRK hat kürzlich einen Erste-Hilfe-Kurs für Sehbehinderte veranstaltet.
In vielen Fällen sind sie selbst auf fremde Hilfe angewiesen, doch Helfen fassen auch Blinde und Sehbehinderte als ihre Bürgerpflicht auf. Den leibhaftigen Beweis dafür lieferten zwei Frauen und drei Männer bei einem speziellen Kurs in lebenserhaltenden Sofortmaßnahmen im Rotkreuz-Zentrum in Passau. "Behinderung ist keine Entschuldigung, nicht zu helfen", beschrieb Ramona Reichenberger ihre Motivation zur Teilnahme an dem Lehrgang, nach dem fast jeder Erste-Hilfe-Handgriff nun sitzt.
Mit viel Einfühlungsvermögen, aber auch dem wohldosierten Maß an Zurückhaltung fassten die langjährig erfahrenen BRK-Ausbilder Walter Hengstberger und Franz Andexlinger die fünf Kursteilnehmer im Alter von 22 bis 72 Jahren an der Hand. Ziel war es, ihnen ein Sicherheitsgefühl zu geben und zugleich die Angst zu nehmen, im Notfall aktiv zu werden.
"Auch Blinde und Sehbehinderte können Hilfe leisten", betonte Hengstberger, neben seinem umfangreichen BRK-Ehrenamt bereits seit über 30 Jahren als Sprecher und Reporter für den Blindenreport, eine Hörzeitung des Passauer Roten Kreuzes, im Einsatz.
Als Grundsatz legte der Ausbilder den gehandicapten Ersthelfern dieselbe Devise wie den buchstäblichen Augenzeugen von Notfällen ans Herz: "Ersthelfer sind keine Einzelkämpfer." Soll heißen: Sich nicht scheuen, falls mögliche weitere Passanten durch lautes Rufen auf die Situation aufmerksam zu machen. Der erste Schritt muss sein, einen Notruf abzusetzen oder jemand anders damit zu beauftragen. "Die 112 wählen, das kann jeder", so Hengstberger, der zu diesem Thema sogar einen kurzen Abstecher in die Integrierte Leitstelle (ILS) Passau organisiert hatte.
Mit den fünf Interessierten gingen die beiden versierten Rotkreuzler allerdings noch viel tiefer in die Details der Sofortmaßnahmen am Unglücksort. Statt visueller Unterrichtshilfen standen bei dem eintägigen Kurs Fühlen und Tasten im Vordergrund, war möglichst anschauliches Erklären gefragt. "Man kann bei Erster Hilfe nichts verkehrt machen", nahmen die Kursleiter die Furcht vor Fehlern. Der rasche Erfolg ließ die Teilnehmer selbst erstaunen.
Beispiel Stabile Seitenlage, nach Walter Hengstbergers Worten der lebensrettende Handgriff schlechthin: Auf Anhieb hatten die Lehrgangsteilnehmer den Dreh raus, wobei sie durchaus von ihrem ausgeprägten Tastsinn profitierten. "Ich hätte nicht gedacht, dass das so leicht geht", bekundete Wolfgang Hermann (69), schon vor Jahrzehnten völlig erblindet, nachdem
"Patientin" Ramona unter seinen Händen in sicherer Position lag.
Auch an die Königsdisziplin unter den lebenserhaltenden Sofortmaßnahmen wagte sich die
Gruppe: die Herz-Lungen-Wiederbelebung. Denn gerade bei einem Herzstillstand spielt der
Faktor Zeit eine große Rolle, auch für blinde und sehbehinderte Helfer. Den Handballen
auf die untere Brustbeinhälfte der Übungspuppe, den Brustkorb 30-mal fünf bis sechs Zentimeter
in Richtung der Wirbelsäule komprimieren, dann zweimal beatmen, und wieder 30-maliges Drücken, zweimalige Beatmung und so weiter.
Für einen solchen Notfall empfahlen die Ausbilder dringend, sich Verstärkung heranzurufen. Das gelte auch beim Einsatz eines Defibrillators, der keine Wunderwaffe sei und keinesfalls die manuelle Reanimation ersetzen könne. Die Verwendung eines solchen Gerätes, wie es bereits häufig in öffentlichen Gebäuden zur Verfügung steht, bereitet Blinden und Sehbehinderten nur Schwierigkeiten, was die Anbringung der Elektroden am Patienten betrifft. Dank der genauen Sprachanweisungen zum genormten Ablauf der einzelnen Schritte lautet auch hier die Faustregel, ebenso für gehandicapte Helfer: Falschmachen kann man nichts.
"Das Schlimmste ist, nichts zu tun", gaben Walter Hengstberger und Franz Andexlinger zu bedenken, mahnten aber auch zur ständigen Beachtung des Eigenschutzes. Handlungsbedarf
erkannten die beiden Ausbilder im Verlauf des Kurses ebenso für die Industrie. So sollten Anleitungen und Verpackungsbeschriftungen in Erste-Hilfe-Päckchen bzw. -Kästen auch in Blindenschrift abgefasst sein. Einen anderen Tipp können alle leicht beherzigen: Den Verbandskasten immer am selben Ort aufbewahren. Dann ist er im Notfall rasch zur Hand.